Du musst nur wollen?

Du musst nur wollen. Du musst dich mehr anstrengen. Du musst. Du musst.

Eigentlich egal, zu welchem Thema, zu welchem Problem – es war stets jemand da, der die Antwort und Lösung hatte und sie beinhaltete immer die eigentliche Ursache. Und das war man selbst.

Man wollte es nur nicht genug. Man strengte sich genug an. Konzentrierte sich nicht genug. Es war nicht genug. Man war nicht genug. Und wenn man wollte, dass man nicht sitzenblieb, dass man abnahm, dass man mehr Spaß hatte, dass dies oder jenes passierte, nun, dann musste man es machen. Nicht nur darüber reden, es machen und wenn es beim Reden, Lamentieren und Beschweren blieb, dann konnte und kann das nur eine Ursache haben: man selbst.

Ich weiß heute, dass das nicht so ist. Dass das sogar ziemlich verschissen großer Bullshit ist. Es ändert nur nichts daran. Du musst nur wollen. Wenn einem das oft genug gesagt wurde, dann geht es nicht mehr darum, ob du selbst es auch glaubst. Du musst nur wollen lebt in einem, haust wie ein uneingeladener Hausbesetzer irgendwie zwischen Hypophyse und Thalamus und flüstert monoton immer wieder und wieder Du musst nur wollen.

Wie wird man das wieder los, wenn die Erkenntnis darüber, dass es Mumpitz ist, nichts bewirkt? Wenn man weiterhin ungnädig zu sich ist, weil es nachvollziehbarerweise deine Schuld sein muss, wenn der Haushalt unstemmbar bleibt, wenn allein der Gedanke an Duschen und Zähne putzen vorrangig genervtes Stöhnen als Resultat hat, wenn Termine aufgeschoben werden, bis die Decke der eigenen Welt über einen hereinzubrechen zu droht, wenn Briefe ungelesen im Flur liegen bleiben, wenn man die eigene Gesundheit so lange ignoriert, bis sie einen von hinten wie ein ausgehungertes Tier anfällt und hernieder reisst. Wer sonst soll schuld sein? Natürlich du. Offenbar willst du es nicht genug? Offenbar findest du es ja okay so, offenbar ist dir anderes wichtiges. So schlimm kann es offenbar nicht sein, sonst würdest du es ja ändern.

Das Wissen um die Funktionen von Noradrenalin, Dopamin, Serotonin ist da. Nickend liest man Artikel über Artikel, andere schicken einem Links zum neuesten Sachbuch über Hormone auf der Spiegel Bestsellerliste, das man auf seine eigene Liste setzt, vielleicht liest man es ja in diesem Jahrzehnt oder kauft es zumindest, damit es dann auf dem Nachtisch drei Jahre liegt, bevor es ins Regal wandert. Ungelesen. Eindeutig wollte man es nicht genug. Das Buch lesen. Etwas ändern. Dabei musst man nur wollen. Wie schwer kann das sein?

Sei gnädiger, sag ich mir. Mach es dir einfacher, sag ich mir. Dann liest du das Buch halt nicht. Dann bringst du heute nicht den Müll raus. Dann schickst du Steuererklärung diese Woche nicht ab. Es ist nicht deine Schuld. Hahaha, brüllt mein Du musst nur wollen und hüpft lachend auf meinem Hypothalamus auf und ab.

Vielleicht muss ich nur warten, vielleicht habe ich es schlicht noch nicht oft wiederholt, dass es nicht meine Schuld ist. Vielleicht dauert es einfach noch 763.435.911-mal sagen, bis das Es ist nicht meine Schuld lauter wird als Du musst nur wollen. Vielleicht muss es am Ende nur einmal mehr gesagt werden, als ich das andere gehört habe. Vielleicht.

Für den Moment ist das vielleicht, das einem bleibt.

Büsumer Ironie

Vor einigen Jahren, noch bevor ich dorthin zog, weilte ich eines Mannes wegen in Hamburg. Und nachdem wir uns an Elbe und Alster satt gesehen hatten, entschieden wir uns einen Abstecher an die See zu machen und fuhren nach Büsum.

Husum, Büsum, all das sind Orte, die nach Seeluft schreien, nach Möwenkreischen über einem, Schafsblöken irgendwo in der Ferne, und heißen Pommes oder Eis, während man mit dem Wind kämpft und dem Sand zwischen den Zähnen und einfach nur aufs Wasser starrt und alles kurz vergisst, was in der entgegen gesetzten Richtung liegt.

In Büsum selbst ist nicht viel, vor allem außerhalb der Saison. Ein Deich, Schafe, etwas Strand und eine Innenstadt in der Größe eines Schuhkartons, in der sich die Gelegenheiten Essbares zu konsumieren und den BMI in ungeahnte Höhen zu treiben nur so stapeln. Und vorrangig gibt es dort natürlich Meeresgetier. Damit meine ich nicht die Bewohner der Stadt, sondern das was eben diese und/oder Touristen gerne essen.

Ich bin bekanntlich ein furchtbar schlechter Veganer, um nicht zu sagen, ich gehöre zu den wenigen carnivoren Veganern, die es gibt, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie Sätze wie „Was kochst du da?.. Chili con Carne?.. Kann ich nicht essen, vegan und so, du weißt ja.. Sieht aber lecker aus..  Ich ess‘ einfach ’nen Apfel.. Riecht auch gutNOMNOMNOMNOM!!“ sagen.

Dementsprechend zog es mich auch magisch zu diesem kleinen Büdchen nahe des Deichs, dessen korpulente Verkäuferin (was ich stets als Zeichen erachte, dass das Essen irgendwo wirklich lecker sein muss) sirenenhaft mit einem leckeren Krabbenbrötchen lockte, nur um dann mit einer schnörkellosen Selbstverständlichkeit zwei Supermarktpackungen Nordseekrabben aufzureissen und den Inhalt auf die frisch aufgeschnitten Weizenbrötchen zu klatschen.

Und was soll ich sagen? Ich finde den Gedanken, dass es in einem kleinen Örtchen wie Büsum so internationale Dinge gibt, wie Krabben, die nahe Büsum – eher auf die „Umweltschutz, wie schreibt man das“-Weise – gefischt, dann via Holland nach Marokko geschafft wurden, um dort gepult zu werden, dann wieder zurück nach Holland, um schließlich – ca. drei Wochen nach dem Fang – in Büsum, 300m Luftlinie vom Meer entfernt, an Touristen verkauft werden, auf eine tragische Weise schon fast wieder komisch. Ironie? Kann der Büsumer.