Büsumer Ironie

Vor einigen Jahren, noch bevor ich dorthin zog, weilte ich eines Mannes wegen in Hamburg. Und nachdem wir uns an Elbe und Alster satt gesehen hatten, entschieden wir uns einen Abstecher an die See zu machen und fuhren nach Büsum.

Husum, Büsum, all das sind Orte, die nach Seeluft schreien, nach Möwenkreischen über einem, Schafsblöken irgendwo in der Ferne, und heißen Pommes oder Eis, während man mit dem Wind kämpft und dem Sand zwischen den Zähnen und einfach nur aufs Wasser starrt und alles kurz vergisst, was in der entgegen gesetzten Richtung liegt.

In Büsum selbst ist nicht viel, vor allem außerhalb der Saison. Ein Deich, Schafe, etwas Strand und eine Innenstadt in der Größe eines Schuhkartons, in der sich die Gelegenheiten Essbares zu konsumieren und den BMI in ungeahnte Höhen zu treiben nur so stapeln. Und vorrangig gibt es dort natürlich Meeresgetier. Damit meine ich nicht die Bewohner der Stadt, sondern das was eben diese und/oder Touristen gerne essen.

Ich bin bekanntlich ein furchtbar schlechter Veganer, um nicht zu sagen, ich gehöre zu den wenigen carnivoren Veganern, die es gibt, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie Sätze wie “Was kochst du da?.. Chili con Carne?.. Kann ich nicht essen, vegan und so, du weißt ja.. Sieht aber lecker aus..  Ich ess’ einfach ‘nen Apfel.. Riecht auch gutNOMNOMNOMNOM!!” sagen.

Dementsprechend zog es mich auch magisch zu diesem kleinen Büdchen nahe des Deichs, dessen korpulente Verkäuferin (was ich stets als Zeichen erachte, dass das Essen irgendwo wirklich lecker sein muss) sirenenhaft mit einem leckeren Krabbenbrötchen lockte, nur um dann mit einer schnörkellosen Selbstverständlichkeit zwei Supermarktpackungen Nordseekrabben aufzureissen und den Inhalt auf die frisch aufgeschnitten Weizenbrötchen zu klatschen.

Und was soll ich sagen? Ich finde den Gedanken, dass es in einem kleinen Örtchen wie Büsum so internationale Dinge gibt, wie Krabben, die nahe Büsum – eher auf die “Umweltschutz, wie schreibt man das”-Weise – gefischt, dann via Holland nach Marokko geschafft wurden, um dort gepult zu werden, dann wieder zurück nach Holland, um schließlich – ca. drei Wochen nach dem Fang – in Büsum, 300m Luftlinie vom Meer entfernt, an Touristen verkauft werden, auf eine tragische Weise schon fast wieder komisch. Ironie? Kann der Büsumer.

Jene Tage

“Ihr werdet Euch noch diese Zeit zurückwünschen!” Wenn ich jedes Mal, wenn ich diesen Satz in meiner Jugendzeit gehört habe, einen Euro bekommen hätte … nun, dann hätte ich sicherlich einige Euros.

Als Teenager hat man natürlich mit den Augen gerollt. Man war zu jung zum Arbeiten und selber Geld verdienen, hat stattdessen (wenn’s gut lief) Taschengeld bekommen, das selten genug war, musste zu einer bestimmten Uhrzeit zuhause sein, sein Gemüse aufessen und durfte sich nach einem anstrengenden Schultag nicht einmal einfach zwei fingerbreit Baileys auf Eis zu gönnen? Wie kacke war das bitte? Warum sollte man sich das zurückwünschen?

Oh, little did we know.

Ich werde mich hüten, zu meinem Sohn jemals zu sagen “Du wirst dir diese Zeit noch zurückwünschen!”, aber ich weiß natürlich gewisse Vorzüge jener Zeit durchaus zu schätzen – im Nachhinein, so wie es sich gehört, wenn es um Dinge geht, die man schätzen sollte. Krankenversicherung, Nebenkostennachzahlung, Einnahmen-Überschuss-Rechnung, degressive AfA – wie süß und unbeschwert waren bitte die Tage, in denen solche Begriffe einem nicht geläufig waren, keine Bedeutung hatten. Tage, in denen die verschissene Lateinklausur das größte Problem des Monats darstellte.

Natürlich möchte ich keineswegs zurück in jene Tage. Nicht nur wegen der beschissenen Lateinklausuren. Sondern, weil ich auch wahnsinnig gerne Ben & Jerry’s zum Frühstück esse, ins Bett gehe, wann ich will und wenn mein Dispo es erlaubt, einfach diese Noise-Cancelling-Headphones kaufe, die neben Nutella und Netflix vermutlich das einzige sind, die meinen müden, erwachsenen Körper am Laufen halten. Der Preis hierfür sind eben Umsatzsteuervoranmeldung und Stromkostenerhöhung. Man kann nicht alles haben. So einfach ist das.

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