Jene Tage

„Ihr werdet Euch noch diese Zeit zurückwünschen!“ Wenn ich jedes Mal, wenn ich diesen Satz in meiner Jugendzeit gehört habe, einen Euro bekommen hätte … nun, dann hätte ich sicherlich einige Euros.

Als Teenager hat man natürlich mit den Augen gerollt. Man war zu jung zum Arbeiten und selber Geld verdienen, hat stattdessen (wenn’s gut lief) Taschengeld bekommen, das selten genug war, musste zu einer bestimmten Uhrzeit zuhause sein, sein Gemüse aufessen und durfte sich nach einem anstrengenden Schultag nicht einmal einfach zwei fingerbreit Baileys auf Eis zu gönnen? Wie kacke war das bitte? Warum sollte man sich das zurückwünschen?

Oh, little did we know.

Ich werde mich hüten, zu meinem Sohn jemals zu sagen „Du wirst dir diese Zeit noch zurückwünschen!“, aber ich weiß natürlich gewisse Vorzüge jener Zeit durchaus zu schätzen – im Nachhinein, so wie es sich gehört, wenn es um Dinge geht, die man schätzen sollte. Krankenversicherung, Nebenkostennachzahlung, Einnahmen-Überschuss-Rechnung, degressive AfA – wie süß und unbeschwert waren bitte die Tage, in denen solche Begriffe einem nicht geläufig waren, keine Bedeutung hatten. Tage, in denen die verschissene Lateinklausur das größte Problem des Monats darstellte.

Natürlich möchte ich keineswegs zurück in jene Tage. Nicht nur wegen der beschissenen Lateinklausuren. Sondern, weil ich auch wahnsinnig gerne Ben & Jerry’s zum Frühstück esse, ins Bett gehe, wann ich will und wenn mein Dispo es erlaubt, einfach diese Noise-Cancelling-Headphones kaufe, die neben Nutella und Netflix vermutlich das einzige sind, die meinen müden, erwachsenen Körper am Laufen halten. Der Preis hierfür sind eben Umsatzsteuervoranmeldung und Stromkostenerhöhung. Man kann nicht alles haben. So einfach ist das.

Dennoch halte ich das Konzept von Erwachsensein generell eher für unausgereift. Seien wir ehrlich, ich bin nach einigen Jahrzehnten dafür in etwa genauso gut geeignet wie mein 15-jähriges Ich. An manchen Tagen wundere ich mich, dass man mich wählen lässt. (Aber darüber wundere ich mich ohnehin beim größten Teil der demokratisch geführten Weltbevölkerung.)

Dass man von mir erwartet, dass ich komplett ohne Aufsicht all diesen Scheiss selbstständig und termingerecht organisieren und machen soll – und dann auch noch ganz alleine die Konsequenzen tragen muss, wenn das nicht so klappt, finde ich durchaus suboptimal.

Dabei brauche ich noch nicht mal unbedingt jemanden, der mir sagt, dass ich mein Zimmer aufräumen, den Müll rausbringen oder mehr Gemüse essen soll. Ich mache es nicht gerne und zumindest meistens mit gewisser Verspätung, aber ich mache es. So wie bei der Steuererklärung, dem Termin für den TÜV oder dem Wegbringen des Jahresvorrats an Pfandflaschen.

Was ich aber wirklich gerne hätte, wäre jemand, der mich hin und wieder ins Bett schickt. So wie früher. Der sagt, dass es schon spät ist, dass ich nun schlafen muss, dass ich genug gelernt, gearbeitet, ferngesehen, gespielt habe. Der mir eine Auszeit verordnet. Und ich meine nicht erst durch den Arzt, nachdem er einen Burnout diagnostiziert hat.

Die anderen Sachen kriege ich schon irgendwie hin. Nicht immer fristgerecht, aber eben irgendwie. Aber wenn bei dieser einen Sache vielleicht doch einer die Aufsicht übernehmen könnte, wäre das super. Also irgendeiner, der das Attribut erwachsen wirklich ausfüllt.

One thought on “Jene Tage

  1. Mal wieder ein Text, bei dem ich mich – bis auf Deine Vorliebe für Nutella, das ist bei mir eher Ovomaltine – gut wiederfinden kann, was mich auf eine Art erschreckt, aber im Wesentlichen beruhigt. Danke für die gelegentliche Bestätigung, dass es nicht nur mir so geht.

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