Einfach laufen lassen

Das weiße „Papier“. Der blinkende Cursor. Und die Frage, ob man das Schreiben verlernen kann. Das in Texten und Geschichten denken. Wenn die Worte sich völlig losgelöst von einem selbst, ganz von alleine scheint es, zusammenfügen, herauswollen, einfach weil es schlicht zu viele Wörter und Sätze für einen einzigen Körper sind, ein einziges Gehirn. Die Worte sind wie Krebs oder Eiter, sie quellen heraus, vermehren sich unkontrolliert – nur nicht so tödlich oder eklig. (Fällt mir kein schönes Beispiel ein, weil ich so lange nicht mehr schreibe oder weil ich generell kein Mensch bin, dem schöne Beispiele einfallen?)

Ich überlege, woran das liegt, dass ich nicht mehr schreibe.

Sicherlich nicht, weil es mir nicht fehlt.

Ich denke häufig daran. Ans Schreiben. Und vor allem, warum ich es nicht tue. Manchmal denke ich, ob es das jetzt war. Ob ich jetzt das habe und mache, was ich bei anderen früher spöttisch belachte: Ein Leben. Ein analoges Leben. Einen Job. Vollzeit. Ein Kind. Einen Hund. Einen Haushalt. So richtig mit jeden Tag Spülmaschine anmachen, eine Ladung Wäsche pro Tag und erwähnte ich schon Kind und Hund?

Und darüber hinaus noch einige andere unschöne Dinge und Baustellen, die Zeit und Energie fressen. (Und vermutlich die Ursache sind, dass mir nur unschöne Beispiele und Vergleiche einfallen.) Da klingt es doch logisch, dass man dann abends einfach ins Bett fällt, nichts mehr produzieren mag, nicht mehr für ein eingebildetes Publikum in die digitale Manege mag, sondern nur noch stumpf konsumieren möchte, eine Folge auf Netflix, eine halbe Stunde Candy Crush, vielleicht zwei Seiten in dem Buch, das man vor 11 Monaten gekauft hat und inzwischen auf Seite 27 ist. Das klingt nachvollziehbar. Ich kann gar nicht anders, sage ich mir dann und finde das sehr beruhigend.

Nur weiß ich natürlich, so ganz tief in mir drin, dass das Bullshit ist. Hanebüchener sogar.

Mein Leben, mein Alltag, meine Baustellen waren immer unschön. Auch ohne Kind oder Hund oder mit kleinerem Haushalt. Es war immer viel und immer zu laut und die Phasen, in denen es mal nicht unschön war, stets zu kurz. Das Schreiben, das war von jeher, so wie das Zeichnen, ein Ventil. Eine Flucht. Eine Auszeit. Ruhe. Auch vor mir selbst.

Am Besten ging das stets, wenn das Denken dabei draußen blieb. Wie ein Paar Winterstiefel, voller Dreck und Matsch, die man vor der Haustür stehen lässt, weil sie drinnen nichts zu suchen haben in diesem üseligen Zustand. Mit dem Denken ist es auch manchmal so. Manchmal sollte man es vor der Tür lassen.

Sicher, wir leben in einer Zeit, in der die Menschen das Denken generell und allzu häufig unterlassen. Vor allem im Netz. Und grundsätzlich im Umgang mit den anderen Menschen, vor allem, wenn sie anders sind. Anders reden, anders aussehen, andere Meinungen haben. Da wird nicht gedacht, da wird vorrangig geschrien und mit Kackhaufenemojis um sich geschmissen – wie Primaten, die sich gegenseitig erbost mit Kot bewerfen.

Das Denken, also wenn man so ganz alleine ist mit sich selbst, kann zuweilen aber zu viel sein.

Ich habe kürzlich gelesen, dass Menschen mit ADHS häufig einen geradezu exzessiv aktiven inneren Monolog führen. Also quasi ein Radio im Kopf, das keinen Ausschalter hat, von alleine und sprunghaft die Kanäle wechselt, mal wie ein Sportreporter beschreibt, was man macht und sieht, mal ohne Vorwarnung Sankt-Martins-Lieder spielt, mal wie in einem günther-jauchschen-Jahresrückblick Szenen längst vergessener Serien hervorkramt – so wie Momente des eigenen Lebens, die man nun wirklich gerne auf ewig vergessen würde. Das Gehirn schaltet nicht ab, selbst wenn man wollte.

Als ich das das erste Mal las, war mein erster Gedanke: Soll das heißen, es gibt Menschen, die haben das NICHT?!

Das zweite war, dass ich meinem Radio auch viel verdanke. Nie versiegende Kreativität. Problemlösungen, auf die sonst keiner kommt. Aber eben auch Probleme, auf die sonst keiner kommt.

Denken ist Segen und Fluch zugleich. Es hüpft und springt herum und schmeißt so problemlos mit neuen Ideen und Geschichten um sich wie ein Pädo mit Lollis und Hundewelpen. (Ich muss wirklich an den unschönen Vergleichen arbeiten …) Das Denken eines neurodivergenten Menschen sieht gerne um Ecken, sieht hin und wieder Dinge, die nicht da sind oder Dinge, die sein könnten.

Aber Stille ist manchmal auch ganz nett. Nur wie, wenn es keinen Ausschalter gibt?

Das Schreiben hat mir hierbei oft geholfen. Schreiben, ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Oder für jemand bestimmtes zu schreiben. Und statt zu versuchen, dem Denken eine Richtung zu geben, die Lautstärke diktieren zu wollen oder anderes, was schlicht nicht möglich ist – sie frei zu lassen. Einfach laufen lassen. Wie ein wildes Tier, das man ohnehin nicht zähmen kann. Oder eine erkältete Nase. (Hier konnte ich mich nun wahrlich nicht zwischen den beiden eher mäßigen Vergleichen entscheiden.)

Einfach laufen lassen.

Es hat eine Weil gedauert, aber nun weiß ich es. Nicht das Leben ist mir in die Quere gekommen. Und nicht das Schreiben habe ich verlernt.

Nur das laufen lassen.

Das zulassen.

Und ich bin das erste Mal seit langem wieder zuversichtlich, dass dies etwas ist, was man durchaus neu erlernen kann.

5 thoughts on “Einfach laufen lassen

  1. > Als ich das das erste Mal las, war mein erster Gedanke: Soll das heißen, es gibt Menschen, die haben das NICHT?!

    Als ich das gerade zum ersten Mal las, war mein erster Gedanke: Ich fürchte, ich sollte mich dann doch mal um einen ADHS-Test bemühen …

    PS: Schön, wieder von Dir zu lesen!

  2. „Ich habe kürzlich gelesen, dass Menschen mit ADHS häufig einen geradezu exzessiv aktiven inneren Monolog führen. Also quasi ein Radio im Kopf, das keinen Ausschalter hat, von alleine und sprunghaft die Kanäle wechselt, mal wie ein Sportreporter beschreibt, was man macht und sieht, mal ohne Vorwarnung Sankt-Martins-Lieder spielt, mal wie in einem günther-jauchschen-Jahresrückblick Szenen längst vergessener Serien hervorkramt – so wie Momente des eigenen Lebens, die man nun wirklich gerne auf ewig vergessen würde. Das Gehirn schaltet nicht ab, selbst wenn man wollte.“

    Als ich das eben gerade das erste Mal las, war mein erster Gedanke: Was zur Hölle denken die stattdessen? Sowas wie ’ne EKG-Nulllinie? Nun, bei manchen Exemplaren der Menschheit hat man ja den Eindruck, daß dies durchaus zutrifft. Aber ernsthaft: Was denken, oder anders, wie denken Nicht-ADHSler? Können Sie sich noch erinnern, wo sie das gelesen haben? Fände ich hochinteressant, schon allein um meine Selbstdiagnose zu verfeinern, aber auch um die Mitmenschheit besser lesen zu können.

    Wünsche ein zaghaft-fröhliches Pantha Rei!

    MfG Nouseforaname

  3. Moinsen, wo ich das das erste Mal las, weiß ich nicht mehr. Aber wenn man ‚inner monologue ADHD‘ googelt, kommen einige Sachen. Unnötig zu erwähnen, dass die deutschsprachigen Quellen/Texte bei sowas weiterhin mau sind. Vielleicht hilft dir das weiter. (Wie bei allen Sachen gilt: Nicht jeder ADHSler hat es und es kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein, aber es ist untypisch für neurotypische Menschen – see what I did here?)

  4. Moin! Yes, i see. May my english be fine enough…
    Hab vielen Dank für die Stichworte! ADS und ADHS haben ja viele unterschiedliche Ausprägungen und Mischformen. Ähnliches vermute ich über Autismus, im speziellen Asperger. Da nehme ich ja auch eine höhere Verbreitung in der Bevölkerung an, als man so gemeinhin denken würde, wie gesagt halt in verschiedenen milden Ausprägungen, so meine laienhaften Beobachtungen (so auch bei mir selbst). Stehe ja noch am Anfang meiner Recherchen und hoffe es gelingt mich auch nicht zu überdiagnoszidieren :-).
    Beste Wünsche! MfG

  5. Ja, auf dem Feld ist gerade sehr viel in Bewegung, allein schon bei den Bezeichnungen selbst. Was gut ist – aber auch verwirrend zuweilen.

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