Keine Lust mehr.

Kann etwas, was öffentlich ist, zugleich privat sein? Ist man selbst schuld, wenn man sich im Netz äußert und/oder outet – und sei es nur bei scheinbar banalen Dingen – und es einem dann um die Ohren fliegt?

Früher musste man Kinder-Pyjamas im KZ-Look verkaufen, um einen öffentlichkeitswirksamen Shitstorm abzubekommen. Heute kriegt man (alias Ariana Barborie) den digitalen Arsch versohlt, wenn man es wagt, für den neu „angeschafften“ Hund nicht nach Rumänien zu brettern, um dort einen vor Verwahrlosung, Hunger und Tod zu retten, sondern einen hier in Deutschland von einer Familie holt, wo es ungeplanten Hundenachwuchs gab. Ekelhaft.

Man postet ein belegtes Brötchen mit Salami auf Instagram und läuft plötzlich Gefahr, dass Peta einem aufs Dach steigt. Man liebt grelles Make-Up, rasiert sich aber nicht die Beine und findet prompt Kommentare von der Inkonsequenz-Aufschrei-Polizei. Man twittert, dass man den Elternabend nur besoffen erträgt und darf sich die nächsten Tage mit der Mutter von Xaver auf WhatsApp auseinandersetzen, die einem abwechselnd Menschenhass und Alkoholismus vorwirft.

Das Netz. Ein Ort voller Möglichkeiten. Voller Potential. Und voller Schmocks.

Irgendwann vor zehn Jahren haben auch die letzten Uwes, Rabeas und Fraukes dieser Welt den Weg ins Internet gefunden. Die Zeit, in der man misstrauisch und irritiert gefragt wurde, was man da auf Twitter denn so schreibt und vor allem, wenn das interessiert, ist längst vorbei. Du fotografierst deinen Cappuccino so lange und oft, bis das Foto perfekt und das Kaffeegetränk kalt ist? Heute normal. Du rennst TikTok-Stories aufnehmend durch die gut gefüllte Innenstadt? Kümmert niemanden mehr.

Auf der einen Seite schön. Im Internet ist ja Platz für alle. Nur leider gibt’s keine Einlasskontrolle. Selbst bei der usseligsten Diskothek im tiefsten Brandenburg sorgen Zlatko und Timo an der Tür dafür, dass nur die reinkommen, die lediglich halbwegs besoffen sind und nicht nur rein wollen, um drinnen richtig Randale zu machen und komplett Fremden aufs Maul zu hauen.

Fürs Internet gibt’s keinen Zlatko.

Nicht verwunderlich. Schließlich ist das Internet kein geschlossener Raum, sondern öffentlich. Man wird ja nicht müde, genau das zu betonen.

Und auch wenn wir uns im analogen öffentlichen Raum nie bis selten so sehr verbal entblößen, uns in Gespräche einmischen, die im Restaurant am Nachbartisch gemacht werden, uns vor Straßenmusiker hinstellen und ihnen laut zurufen, dass sie hässlich sind und fett und ihre Musik kacke, zu jemandem bei Thalia an die Kasse gehen und ihm sagen, dass wir seine Buchauswahl bescheiden bis beschissen finden und er doch mal lieber mit ’nem Duden anfangen solle – gibt es in Bezug auf die digitale Öffentlichkeit keine Grenzen und kaum Regeln des einvernehmlichen Benehmens. Da kann man auf die eigene Netiquette noch so oft hinweisen, wie man lustig ist.

Ich hab keine Lust mehr. Ernsthaft.

Auf all das. Ich verstehe, das alles permanent im Wandel ist und dass man höllisch aufpassen muss nicht in die „Früher war alles besser“-Falle zu tappen. Denn das war es nicht. Weder analog, noch digital.

Ich habe keine Lust mehr, fünfmal zu überlegen, ob ich das so schreiben kann, oder ob ich dann eine SMS von Maren-Elisabeth, der Elternvertreterin, bekomme, eine neurotische Mail von meinem Ex oder direkt einen Termin bei meinem Vorgesetzten. Ich habe keine Lust mehr, dass ich das Gefühl habe, auf verschissenen Eierschalen herumstaksen zu müssen, während Friedrich Merz konsequenzlos all den Unsinn sagen darf, der ihm morgens beim Frühstück so einfällt.

Ich habe keine Lust mehr, auf Menschen Rücksicht zu nehmen, die mich nicht kennen, sich aber zum festen Vorsatz genommen haben, andere misszuverstehen und ihre ungaren Gedanken und Meinungen mit einer Begeisterung weiter zu tratschen, als gäbe es dafür eine Auszeichnung.

Und ich habe keine Lust mehr, darauf zu warten, dass die sozialen Netzwerke – oder zumindest Twitter, denn seien wir ehrlich, Facebook haben wir verloren – sich wieder zu etwas entwickeln, wo man sich gerne aufhält und nicht jedesmal nach dem ersten Scrollen durch die Timeline Herpes bekommt, weil es einem vor den verbalen Ergüssen der eigenen Spezies so ekelt.

Ich habe vor einigen Monaten meinen Abschied von Twitter genommen. Und obwohl ich diese Entscheidung so lange aufgeschoben hatte, habe ich sie nun keinen Tag bereut. Auch weil ich beruflich hin und wieder dort doch nochmal vorbeischauen muss und mit gruseliger Zuverlässigkeit die Bestätigung bekomme, dass es auch weiterhin eine Jauchegrube des menschlichen Miteinanders ist.

Facebook, Twitter – Diese Ecken des Netzes sind wie Mordor.

Sicher kann man dort überleben und eine interessante [sic!] Zeit haben, aber es ändert eben auch nichts, dass dort vor allem Orks, Nazgûl und ein echt schlecht gelaunter Maia leben. Und da es in absehbarer Zeit vermutlich keinen Ring geben wird, den ich irgendwo in die Untiefen der Timeline werfen muss, um ihn zu zerstören, gibt es wirklich keinen einzigen vernünftigen Grund, warum man sich dort aufhalten sollte, es sei denn, man ist Masochist, Gollum (und weiß es eben einfach nicht besser) oder eben ein verschissener Ork.

Ich selbst habe jedoch keine Lust mehr auf Mordor, Angmar oder den verschissenen Düsterwald. Ich hätte gerne ein bisschen mehr Mittelerde-Vibes.

Ich habe übrigens auch keine Lust mehr so zu tun, als würde ich nicht gerne fluchen.

Das verkackte Fluchen hilft mir.

Andere Menschen gehen in den Wald und schreien. Wieder andere hängen sich einen Boxsack in die Wohnung. Ich fluche. (Falls Sie finden, dass das ordinär sei, dürfe Sie gerne einfach woanders hingehen. Auf die Webseite der Apothekenumschau oder wo auch immer Sie sich heimischer fühlen.

Und ich habe auch keine Lust mehr auf Menschen, die Sarkasmus selbst dann nicht verstehen, wenn man ihnen im Duden den Eintrag dazu aufschlägt und hinlegt.

Auch für diese Menschen gibt es sicherlich viele tausend andere Seiten, wo sie besser aufgehoben sind. Promiflash oder den Twitter-Account von Musk. Aber dieser hier ist sicherlich nicht der richtige Ort. Und ich habe keine Lust mehr so zu tun, als sei es okay oder hinnehmbar, dass sich diese Menschen in jeder Ecke des Netzes breit machen.

Dies hier ist ein Safe Space. Für mich. Und für alle Menschen, die gerne Dinge über Eltern, Hunde, Neurodivergenz und ganz offenbar Tolkien-Referenzen lesen. Die Rants mögen, welche das Ziel haben, sich Luft zu machen, ohne andere zu erniedrigen. Für jene, die sich vielleicht sonst nicht gesehen fühlen.

Dies ist kein Ort, an dem Menschen willkommen sind, deren einziges primäres Ziel im Alltag es ist, Scheiße zu verzapfen. Und das schließt geschwätzige Nachbarn, toxische Ex-Partner und sonstige Menschen ein, die ihr geistiges Zuhause nur selten verlassen. Und das ist kein Hinweis auf meine Netiquette.

Ihr seid hier nicht willkommen. Ende des Diskussion.

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13 thoughts on “Keine Lust mehr.

  1. Ich möchte noch ergänzen: Am allerseltsamst … äh: nervigsten finde ich es, wenn das von Menschen kommt, mit denen man befreundet ist.
    Man plaudert vielleicht per Chat nett und dann schreibt man etwas auf Twitter und die gleiche Person bringt da die Dreck-Kanonen in Stellung.

  2. Ich bin gern hier – und zwar schon, als das noch unter „Orbis Claudiae“ lief. Ich kommentiere höchst selten, freue mich aber sehr, dass hier wieder geschrieben wird. Schlechte Laune halte ich angesichts der Realität für den meist einzig akzeptablen Zustand, Zynismus für eine angemessene Reaktion.

  3. Ich fluche zur Zeit, weil ich überall nur lese „Oops! That page can’t be found“. Nun weiß ich immerhin, daß es kein technisches Problem ist.
    Ich habe – wenn auch eher zufällig – die (a)sozialen Netzwerke immer irgendwie außen vor gelassen. War wohl auch gut so.

  4. Hallo Claudia,
    Wow, dein Post spricht mir so dermaßen aus der Seele!! Und dann auch noch in verbaler Perfektion auf den Bildschirm gebracht!(Papier kann man ja hier schlecht sagen ;-)
    Ich erlebe gerade einen unterirdischen „hater“- Angriff auf mein Blog und frage mich ernsthaft, was geistig unterbemittelte Menschen dazu bewegt, ungefragt so eine gequirlte Sch… von sich zu geben. Und dann stoße ich zufällig auf dein Blog (obwohl ich an Zufälle nicht glaube!) und fühle mich auf einmal verstanden, bzw. nicht mehr ganz so allein mit meinen Gedanken.
    Auch was das Fluchen betrifft, kann ich dir nur recht geben. Ich fluche nämlich, sehr zum Leidwesen meiner Familie, so gerne und in einem Ausmaß, dass sämtliche Götter vom Himmel fallen!! Aber alleine schon beim Versuch, DAS zu unterdrücken, würde ich wahrscheinlich platzen ;-)
    Jedenfalls, toller Blog! Ich bin froh, dich gefunden zu haben und werde jetzt öfter bei dir rumhängen!! (wenn du nichts dagegen hast)
    Viele liebe Grüße

    Jeanne

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