Bei ADHS geht es um Kontrolle. Das ging mir heute Nachmittag durch den Kopf, als ich maximal wehleidig im Bett lag und mir erneut einredete, dass ein kleines [sic!] Nachmittagsschläfchen all meine Probleme lösen könnte.
Es geht um Kontrolle – oder genau: Um die Abwesenheit davon.
Dass Kontrolle an sich eine Illusion ist, ahnen die meisten von uns vermutlich. Kontrolle und Sicherheit – so sehr wir das Gefühl von beidem auch brauchen, in einer kleinen, zumeist schlecht ausgeleuchteten Ecke unseres Gehirn wissen wir, dass nichts sicher ist.
Aber das meine ich noch nicht einmal, wenn ich von Kontrolle spreche. Kontrolle über mein Leben? Ha. Von dem Tagtraum habe ich mich irgendwann in meinen Zwanzigern verabschiedet. Nein, ich meine die Kontrolle über mich selbst. Wie ich denke, was ich denke, wann ich denke, wie laut ich denke, wie traurig ich denke, wie mutig, wie entschlossen, wie wütend.
Ich wusste schon länger, dass mein Gehirn und ich nicht für die selbe Mannschaft spielen. Wobei ich bis heute nicht weiss, für welches Team genau mein Gehirn spielt. Es hockt wie ein Untermieter unter meiner Schädeldecke, einen Mietvertrag gibt es nicht, es war einfach schon immer da und wir wissen ja aus dem deutschen Mietrecht, dass man so Besetzer ohnehin nur schwer wieder los wird. Es ist einfach da und zwischendurch ruft es von oben wie ein grummliger Nazi-Opa semi-verstörende Sätze herunter. Nur während man den „Runter vom Rasen!“-Fensterbankopa eigentlich ganz gut ignorieren kann, ist das bei meinem Gehirn nicht der Fall.
Denn über die Dachgeschosswohnung meines Gehirn laufen alle Kabel, alle Zu- und Abflüsse. Es entscheidet, ob bei mir das Licht brennt oder nicht. Und wie ein Nazi-Opa, bei dem man auch nie weiß, wann er seine heutige Runde am Fenster dreht, weiß ich bei meinem Gehirn nie, was gerade Phase ist.
Und so kann es sein, dass – obwohl der Tag normal bis super angefangen hat – mir im Laufe des Tages der Strom abgestellt wird. Manchmal merke ich es nicht sofort. Man trinkt einen Kaffee, reißt das Fenster auf – so wie man sonst den Lichtschalter noch viermal an und wieder ausmacht, in der putzigen Hoffnung, dass die Energie wieder da ist.
Aber der Strom ist weg. Ich weiß nicht wieso. Es gibt keinen Grund. Ich weiß nicht wie lange. Ich weiß nur, je länger der Strom aus ist, desto kälter wird es. Desto dunkler.
Von dieser Art von Kontrolle rede ich. Keine Kontrolle über sich selbst zu haben. Es ist dem Gehirn egal, was ich mir für heute alles vorgenommen hatte. Der Strom ist komplett aus und selbst das Müll rausbringen wird nun zur olympischen Disziplin – nur dass ich dummerweise selbst für die Bundesjugendspiele schon untauglich war.
Diese Art von Kontrollverlust kommt auch bei anderen Gehirnen vor. Bei depressiven Gehirnen zum Beispiel. Es ist kein reines ADHS-Problem. Die geradezu tägliche Regelmäßigkeit, voraussichtlich bis zum Lebensende, ist jedoch ein ziemliches ADHS-Problem.
Kontrolle ist eine Illusion, schon klar. Jederzeit kontrollieren zu können, ob man genug Dopamin im synaptischen Spalt hat, um zumindest das Handtuch, das auf den Boden gefallen ist, wieder aufheben zu können, wäre trotzdem nett.