Monothematischer Monolog

Der Cursor blinkt. Wartend. Yo, denke ich, stress mal bitte nicht so rum. Ist ja nicht so, als wüsste ich schon genau, was ich gleich schreiben wollte. Das weiß ich selten. Ich rede mir ein, dass das eine äußerst charmante Seite an mir ist. Vermutlich ist es die einzige charmante Seite. Aber ich komme vom Thema ab. Ja, genau das Thema, das ich bisher nur so grob im Kopf habe.

Es geht ums Schreiben. Ums sich wiederholen. Um das Internet. Um das Gefühl, alles schon einmal gesagt zu haben. Nicht, dass das irgendjemanden aufhalten würde, es noch einmal zu sagen.

Damals im Deutsch-Leistungskurs haben wir einen Text von Kurt Tucholsky analysiert. (Textanalyse war schon damals direkt nach Bildanalyse meine allerliebste Lieblingsbeschäftigung – oder wie ich regelmäßig im Unterricht sagte: Man kann da jetzt auch Scheiße reininterpretieren, wenn man will.) Der Text hieß “Es gibt keinen Neuschnee”. Ein wirklich guter Text, solange man nicht versucht, ihn kaputt zu analysieren.

Im Grunde steht in dem Text, was mir so gerade durch den Kopf geht. Es gibt keine Bergspitze, es gibt keinen Neuschnee – irgendjemand war vor einem schon mal da, irgendjemand hat vor einem dies schon gedacht, das gesagt und jenes geschrieben.

Ich würde nicht sagen, dass dieses Phänomen unserer heutigen Gesellschaft fremd ist. Die zahllosen Wiederholungen geistloser Sätze und noch geistloser Kommentare zum Weltgeschehen, die im Internet hin- und hergewirbelt werden wie durch eine Turbine im Klärwerk, scheinen da recht gute Indizien zu sein.

Und bevor jemand sagt, dass meine Texte auch keine großartigen, von Weisheiten durchdrungenen Ergänzungen seien: Ich sehe mich dennoch mehr als jemand, der am Rand der Klärgrube steht und mit einem kleinen, bunten Sandkasteneimer Meerschweinchenköttel reinschüttet. Ich bitte den Unterschied wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen.

Aber auch mein kleines Eimerchen und ich sind nicht frei von Wiederholungen. Etwas, was mir durchaus zu schaffen macht. Weniger, weil ich besorgt bin, jemandem würde das auffallen und sich langweilen – denn seien wir ehrlich: Jeder ist selbst schuld, wenn er das hier liest. Ist hier ja schließlich kein 280-Zeichen-Tweet, über den man aus Versehen gestolpert ist und den man unabsichtlich komplett gelesen hat. Wer noch an dieser Stelle weiter liest, kann mich für seine verlorene Zeit nun wahrhaft nicht haftbar machen wollen.

Es geht mir also mehr um mich selbst. Natürlich. Denn das letzte, was ich sein möchte, ist ein Mensch gefangen in der eigenen Gedankenschleife. Okay, genau genommen, fallen mir noch einige weitere Dinge ein, die ich wirklich zuletzt sein möchte – wobei sich eine nicht zu unterschätzende Anzahl dieser Dinge im direkten Umfeld des Weißen Hauses abspielt. Aber dennoch: Ich denke, der Punkt ist klar. Ich will kein Mensch sein, der sich immer wieder mit demselben beschäftigt. Mental nicht vorankommt, sich nicht bewegt.

Manchmal dachte ich schon, das muss so sein. Dass es weniger eine Gedankenschleife ist, sondern ein Kreislauf. Gestern standen einem noch alle Möglichkeiten offen (lol) und man wusste gar nicht wohin mit all seinen Ideen und Plänen – und plötzlich beschäftigt man sich nur noch mit Angebotsvergleichen von Hausratsversicherungen, sammelt Punkte im Supermarkt und redet fast täglich über seine Rückenschmerzen. Oder die Knie. Oder die Hüfte. Oder generell Medikamentenverträglichkeit. Die einzige Idee, der einzige Plan, dem man sich dann noch widmet, ist herauszufinden, in welchen Intervallen der Lieblingskäse bei Edeka immer reduziert ist, damit man sich entsprechende Vorräte anlegt, den perfekten Zeitpunkt für die allabendliche Melatonin-Dosis zu eruieren oder wochenlang zu recherchieren, ob man die Reha nach der Knie-OP lieber in Süd- oder Norddeutschland machen sollte.

Und ehe man sich versieht, ist man siebzig, sitzt den ganzen Tag an abgeschiedenen Bushaltestellen – ohne die Absicht zu haben, jemals in einen Bus zu steigen -, um anderen Wartenden ungefragt von den Nebenwirkungen seiner Blutdruckmedikamente zu erzählen. Gedankenschleife – oder eben doch einfach Kreislauf des Lebens? Man weiß es nicht so genau.

Auch wenn ich hier und da sicherlich zu monothematischen Monologen neige, fände ich es doch schön, wenn dieser Moment, diese Phase der Bushaltestellenbelästigung, nicht früher beginnt als absolut notwendig.

Nur was tun? Natürlich kann man in Gegenden ziehen, in denen keine Busse fahren. Gerüchten zufolge soll das ja in Deutschland ja noch an zu vielen Orten hervorragend möglich sein. Oder man bricht aus. Lässt das mit den Hausratsversicherungen sein. (Wenn die Spülmaschine die Wohnung unter Wasser setzt, zieht man einfach aus in einen Ort ohne Busverbindung, in der Regel ist das Internet in diesen Gegenden auch glorreich beschissen – euer Vermieter wird euch nie finden!) Man hört auf, Stunden damit zu verbringen passende Laken zu der neuen Bettwäsche zu suchen – oder Handtuchfarben danach auszusuchen, ob es die Gästehandtücher und das große Saunahandtuch von derselben Firma auch in derselben Farbe gibt. Man hört auf, sich grüne Smoothie-Shakes zu machen, deren Ingredenzien genau abgewogen werden müssen, weil sie sonst nicht die optimale Wirkung entfalten können – und schluckt stattdessen einfach wie die Generationen vor uns einmal am Tag Sanostol oder direkt Lebertran. Unsere Großeltern haben den Krieg nicht überlebt, weil sie irgendwas getrunken haben, das so aussieht, als würde es mich in der freien Natur davon abhalten können in diesem See zu schwimmen. Sie haben sich auf das Notwendigste reduziert: Brot, Butter und Katzenfleisch. Und hat es ihnen geschadet? Vermutlich. Aber das ist jetzt nicht der Punkt, den ich zu machen versuche.

Ab einem gewissen Alter hat man sich für gewöhnlich in seinem Leben eingerichtet. Man hat sein Netflix-Abo, seine Lieblings-Apfelsorte, seinen Stamm-Versicherungsdienstleister (ja, dieses Thema beschäftigt mich wirklich immens, aber das diskutiere ich eher mit meinem Psychiater aus und nicht mit euch.) und sagt zu häufig Sätze wie “Das sollten wir bald wiederholen”, “Haben Sie auch glutenfreie Pizzen auf der Speisekarte?”, “Und dann nehme ich noch einmal Ibuprofen 400 – ja, die große Packung gerne.”

Und falls du dich gerade fragst, ob du schon dieses gewisses Alter hast: Ja. Menschen, die es eindeutig noch nicht haben, stellen sich diese Frage nämlich erst gar nicht.

Man hat sich eingerichtet, hat es sich schön kuschlig gemacht, seine Komfortzone komplett mit weißen Kaltschaummatratzen verkleidet – und dabei nicht gemerkt, dass man sich selbst eine Zelle gebaut hat. Aber hey, zumindest muss man hier nicht diese weiße Jacke, mit der man sich zwangsweise (pun intended) selbst umarmt, tragen, sondern einen Onesie unter der 200-kilogramm-schweren Therapiedecke, und hat so zumindest noch eine Hand frei, um nach der Fernbedienung zu grapschen, wenn Netflix mal wieder fragt, ob man noch da ist.

Wie schön wäre es, wenn man, nachdem man die Frage positiv beantwortet hat, Netflix noch einmal fragen würde: Wirklich? Bist du sicher? Weil … Du trägst einen Cookie-Monster-Onesie und hast gerade die dritte Tüte Popcorn aufgemacht.

Vielleicht möchte Netflix gar nicht, dass wir weiterschauen, sondern uns die Chance geben, innezuhalten und zu bemerken: Fuck nein, ich bin nicht da. Ich bin einer selbst geschaffenen Bett1.de-Werbecliphölle, woher kommen die Matratzen an den Wänden und wieso habe ich keine Tür eingebaut?

Natürlich hat keiner Bock seinen kuschligen Cookie-Monster-Onesie auszuziehen – ich meine, es ist ein verflucht großartiger Cookie-Monster-Onesie. Oder sich nicht mehr täglich unter die 1000-kilogramm-schwere Therapiedecke rein- und wieder rauszubugsieren – dabei verbrennt man vermutlich mehr Kalorien als beim durchschnittlichen Cardiotraining. Und natürlich wollen wir die Crime-Doku zu Ende sehen – weil, wie sollen wir sonst wissen, ob sie John Wayne Gacy vielleicht wieder freigelassen haben und er inzwischen hier irgendwo in der Nachbarschaft lebt? So viel Melatonin kann ich gar nicht saufen, um ohne diese Gewissheit ruhig einschlafen zu können!

Es hat ja schließlich durchaus seine Gründe, warum man der Typ Mensch geworden ist, der eine Lieblings-Hummus-Sorte hat und immer die gleiche Zahnpasta kauft.

Komfortzone bietet Sicherheit. Verlässlichkeit. Oder zumindest die Illusion davon. Nur was, wenn die Routine zur Ödnis wird. Wenn es kein Kreislauf des Lebens ist, sondern Stillstand des Lebens?

Begleiten Sie mich also auf dem illustren Weg, die Matratzen von den Wänden zu reißen, in der Hoffnung, dass sich dahinter irgendwo eine Tür befindet. Und vielleicht auch das ein oder andere Fenster, um es weit aufzureißen, und die Amygdala und den Frontallappen und all die anderen latinophilen Regionen meines Gehirns ein bisschen mit frischer Luft zu durchfluten.

Und falls Sie sich fragen, wieso ich Sie plötzlich sieze. Wir müssen uns erst neu kennenlernen. Schließlich weiß ich gerade noch nicht einmal, wer ich selbst morgen sein werde, geschweige denn wer Sie sind.

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